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  • Es wird hier ziemlich viel spekuliert wenn es über die Seeforelle geht.
    Gibt es überhaupt noch Bestände die als "REINRASSIG" bezeichnet werden können?
    Bekannt sind der Walchenseestamm, der Atterseestamm, der Weißenseestamm aber sind die in ihren Seen durch unkontrollierte Besatzmaßnahmen schon "versaut" oder haben die Bewirtschafter aufgepasst was in ihren See hinein kommt?


    Also, welche Stämme kennt ihr und welche Gewässer sind noch "reinrassig"? Oder muß man sich einfach damit abfinden dass es nur noch die Multikulti-Seeforelle gibt?

    A mit Huad fangt ma Fisch! Bääärig!

  • Also für den Starnberger See kann ich einen reinrassigen Bestand ausschließen. Eine natürliche Vermehrung findet sowieso nicht statt und in den letzten 3 Jahren ist einmal die komplette Brut kaput gegangen und zumindest einmal wurde gar kein laichbereiter Milchner gefangen.
    Die zugekauften Setzlinge haben jetzt wenigsten keine verkrüppelten Flossen mehr.
    Nach rein optischer Einschätzung sind mindestens drei verschiedene Zuchtlinien im See.
    Ich freu mich trotzdem über jede Massige und beim Essen sind mir noch keine Qualitätsunterschiede aufgefallen
    Petri
    Juvol

  • Holzwurmkarl, Du triffst immer wieder meine Lieblingsthemen :mrgreen:
    Die Beantwortung der Frage setzt die Klärung von zwei Dingen voraus:
    Was ist taxonomisch gesehen eine Seeforelle und was ist ein Stamm?


    erstmal die Seeforelle:
    Wie heute den meisten vage bekannt ist, sind Seeforellen, Bachforellen und Meerforellen keine genetrisch getrennten Arten, sondern beschreiben nur den bevorzugten Lebensraum jeweils eines Fisches, auf den er sich eingestellt hat. Der Genpool ist aber identisch. Was heisst das konkret? Eine Bachforelle trägt z.B. das anadrome (also das wanderfreudige) Gen in sich und gibt es an ihre Nachkommen weiter. Von diesem Nachwuchs werden - vorausgesetzt die Möglichkeiten bestehen - einige im Bach oder Fluß als standorttreue Bachforelle bleiben, einige abwandern und in einem See zu einem Leben als Seeforelle übergehen, und einige bis ins Meer schwimmen und dort als Meerforelle ihr Leben fristen. Dabei sind sie genauso genetisch Vielfältig mit Varianten zur Ausprägung ihres Äusseren bestückt. Entscheiden für die Aubildung der Frequenz, also den jeweiligen Anteil der drei Lebensforem an einem Nachwuchsjahrgang, hängt unter anderem von der Ausprägung der Elterntiere ab, von Bestandsdichten und dem Futteraufkommen. Selbstredend, dass die Nachkommen von kräftigen Seeforellen die in nahrungsarmen Bächen laichen deutlich mehr Abwanderer hervorbringen, als Bachforellen in einem nahrungsreichen Wiesenbach. Dies wurde z.B. durch Markierung von abwandernden jungen Bachforellen aus dem Rhein in den Bodensee nachgewiesen, die Jahre später als knackige Seeforellen beim Aufstieg abgefangen wurden. Auch wunderte man sich rheinabwärts über die hohe Anzahl von Roggnern bei den Meerforellen, bis man feststellte, dass die Weibchen wegen dem erhöhten Nahrungsbedarf stärker zum Abwandern ins Meer neigen, als die Milchner.


    Genetisch unterscheidbar spricht man in Deutschland bisher von zwei Forellenarten: der atlantischen Forelle im Einzugsgebiet des Atlantik und die pontokaspische Forelle oder Donauforelle bei uns im Einzugsgebiet der Donau, beide lassen sich z.B. durch die Anzahl der Kiemenreusendornen unterscheiden. Beide Arten bilden die Lebensraumformen Bach-, See- und Meerforelle aus, wobei letztere mangels Lebensräumen in der Donauversion kaum vorkommt. Ursprünglich gehörten die großwüchsigen Seeforellen der östlichen Voralpen- und Alpenseen der pontokaspischen Art an, sind aber durch den jahrzentelangen Besatz der atlantischen Genotypen sehr selten geworden.


    Bei der Frage nach Seeforellen-Stämmen kann also nach dem heutigen Stand der Wissenschaft die Seeforelle nicht separiert betrachtet werden, sondern bildet eine "Management-Einheit" mit den anderen Forellen in einem Gewässersystem, das es mit diesen zum genetischen Austausch kommt.



    Nun zur Frage der Stämme:


    Ein Stamm setzt voraus, dass die Fische von anderen derselben Art unterscheidbar sind, die nicht diesem Stamm angehören. Der Stamm ist also sozusagend eine abgeschottete Reliktpopulation, die entweder durch natürliche Barrieren oder durch künstliche wie z.B. Gewässerverbau vom genetischen Austausch abgeschottet wird. Diese Räume sind grundsätzlich gefährdet: Einflüsse von aussen können den Lebensraum verändern oder beeinflussen, und die genetische Möglicheit der Anpassung sinkt. Bestandsschwankungen und Engpässe, polygames Paarungsverhalten führen zu einer "genetische Drift", die die genetische Variabilität immer mehr einschränkt und im Einzelfall zum Aussterben des Restbestandes führen kann. Dies verdeutlicht, dass wenn wir es mit einem Stamm, einer Reliktpopulation, zu tun haben, es sich um ein äusserst sensibles ökologisches System handelt.


    Die genetische Drift findet aber auch ganz natürlich - mit allen positiven und negativen Konsequenzen - statt, ohne den Einfluss des Menschen, und kann zu einem "Flickenteppich" verschiedener Populationen führen, die sich in verzerrte unterschiedliche Richtungen entwickeln. Je größer der Genpool und je vielfältiger der Lebensraum, umso größer die Wahrscheinlichkeit, daß sich abseits der "großen" Pools besondere Stämme etwickeln, die sich besonders gut auf den Lebensraum anpassen und dort zu erstaunlichen Ergebnissen führen.


    Das größte Problem bei der Beurteilung der Existenz von "echten" sozusagend "genetisch verdrifteten" Stämmen ist einerseits der Mangel von genügend Datenmaterial, sowie die vor allem in den letzten Jahren immer deutlicher gewordene Erkenntnis, daß Fischbestände in kürzerster Zeit auch eine äusserliche massive Anpassung an veränderte Lebensräume vollziehen können und dabei nur ein Verhalten abrufen, dass sie in sich gespeichert haben. Die Frage die sich hier stellt:"Findet eine wirkliche Veränderung der genetischen Zusammensetzung statt die gleichzeitig z.B. mit dem unwiederbringlichen Verlust von Eigenschaften verbunden ist, oder finden nur ein Abruf von Eigenschaften statt, die hier in dieser Situation notwendig und wichtig sind, und bei nächster Gelegenheit sich wieder in eine andere Richtung entwickeln können?" Wissenschaftliche Klarheit gibt es hierrüber nicht, beides findet statt, und man kann nur Thesen bilden.


    Daher nun ein paar Thesen zu der eigentlichen Frage:


    These 1: Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Forellen freiwillig keine geschlossenen Populationen bilden, vermute ich daß die meisten Populationen die als Stämme bezeichnet werden, keine "Reliktpopulationen" darstellen. Das besondere Gedeihen oder Verhalten in einem besonderen Lebensraum verleitet dazu, sie als eigenständigen Stamm zu sehen, er ist es aber nicht sondern wird regelmässig genetisch angereichert. Man denke nur an verbuttete Bestände, die ganz schnell wieder großwüchsig werden wenn die Bestandsdichte nachlässt, oder umgekehrt besondere Großwüchsigkeit unter optimalen Bedingungen (Viktoriabarsch). (kleiner Ausreißer am Rande: Man denke nur an den vielfältigen Saiblingsbesatz im Walchensee, wie mir gesagt wurde bis heute sieben verschiedene "Stämme": Vermutlich könnte man die größten Saiblinge der Welt dort einsetzen, sie würden sich alle in kürze der dort herrschenden Saiblingsüberpopulation anpassen - durch reduzieren der eigenen Größe auf Zwergwüchsigkeit, egal wie groß sie ursprünglich genetisch sind ;-) )


    These 2: Ich halte es für relativ unwahrscheinlich, dass hier in Mitteleuropa einer der wenigen wirklichen alten "Stämme" erhalten blieb. Es sind ja nicht nur die Sünden der jüngsten Vergangenheit, die diesen Systemen zusetzten. Bereits vor 100 Jahren wurde ordentlich besetzt und gezüchtet, und wie oben schon geschildert hat die atlantische Forelle fast überall zumindest mit ein paar Exemplaren Einzug gehalten (die Hoffnung stirbt zuletzt). Sicher sind aber gerade durch die Gewässerverbauung diese "Reliktpopulationen" noch vorhanden und sogar mehr geworden, wenn auch in veränderter Form. Sie sind also nicht alle gleich, sondern immer noch variantenreich. Die pragmatischere Frage ist also, wo den Stämmen wirklich geschadet wurde und wo sie vielleicht sogar angereichert wurden. Und natürlich ob und wo eine Korrektur des Ökosystems bzw. das Gewässermanagement nicht ganz schnell wieder zu großwüchsigen Forellen führen würde, die ihre alten noch vorhandenen Gene abrufen, auch wenn sie zwischendurch durch andere angereichert wurden.


    3. Allerdings finden wir viele genetisch zumindest "angedriftete" Stämme in diversen Fischzuchten, wo man versucht, adlige Forellenstämme nach Vorbild der alten Königshäuser zu züchten. Mangels Fortpflanzungsmaterial werden einige wenige Zuchtfische in Teichen gehalten, die Jahr für Jahr abgestreift werden, und wenn sie sterben, werden ihre Nachkommen dran. Regelrecht adelige Inzeststämme vom feinsten, wie im alten Rom!


    Eine interessante Frage beim Thema Gendrift und Verhaltensanpassung ist auch noch der Einfluß der Angler. Meines Wissens nach beschäftigt sich Professor Arlinghaus in Berlin mit diesem hochinteressanten Thema, aber das würde hier zu weit führen....



    Das hab ich mir nur ganz stumpf angelesen, ob die folgenden Herren recht haben weiss ich natürlich nicht und überlasse sie hiermit dem öffentlichen Pranger :biggrin:
    Untersuchungen zur Ökologie der Seeforelle, U. Schulz, Konstanzer Dissertationen
    Ferox Trout and Arctic Char, a predator, its pursuit an its prey, Ron Geer, Swan Hill Press
    Martin Hochleithner, Lachsfische, Biologie und Aquakultur, Aquatech Publications
    Besatz aus Sicht der Populationsgenetik, PD Dr. Arnd Schreiber, Zoologisches Institut der Universtität Heidelberg

  • Respekt[b]
    Ist ja Wahnsinn die viele Info.wenn ich mal fragen darf.Hast Du alles Nachgelesen bzw. abgeschrieben oder hast du beruflich damit zu tun?
    Super ausgearbeitete Antwort :up:

    Es gibt nichts schlechts wos ned a wos guats hod

  • Wow! :gott:


    Da kann ich nur sagen danke admiral für diesen Einblick und die Betrachtungsweise die auch für jemand verständlich ist der sich nicht täglich mit dieser Matherie befasst.