Teil 2: Betrachtungen zur Bewirtschaftung der Ruhrtalsperren

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    Bei aller Sozioökonomie und Anglerfreundlichkeit: Primärprodukt des Ruhrverbands ist das Wasser, und daher für den fischereilichen Bewirtschafter die Wasserqualität, da die Fische einen maßgeblichen Einfluß auf die Wasserqualität haben.


    Biomanipulation durch „Top-Down Nahrungskettensteuerung“ (vereinfachte Darstellung)


    Die Steuerung der Wasserqualität an den Ruhrtalsperren erfolgt durch Biomanipulation, d.h. man versucht sie mit Hilfe von „natürlichen“ Faktoren zu beeinflussen. Die Wasserqualität hängt stark von der Entwicklung von Kleinstalgen (Phytoplankton) im Gewässer ab. Wenn diese Überhand nehmen, wird das Wasser erst trübe und wolkig, bei weiterer Expansion kommt es zur „Algenblüte“, das Wasser färbt sich meist grün oder je nach Art der Alge auch andersfarbig. Sterben die Algen ab, sinken sie zum Grund, zehren dort durch den Fäulnisprozess den Sauerstoff auf. Einige Algen, vor allem Blaualgen, bilden zu Lebzeiten toxische Substanzen, die zu Hautreizungen führen können, was in der Vergangenheit zu „Badeverboten“ an den Talsperren führte. Gleichzeitig wird mangels Lichteinfall in den tieferen Regionen wenig Sauerstoff durch Photosynthese produziert. In extremen Fällen und ohne Gegenmaßnahmen kann dies zum „Umkippen“ des Gewässers führen. Um dies zu Verhindern darf der Nährstoffeintrag in das Gewässer nicht überhand nehmen („Überdüngung“) und es muß genügend Zooplankton – der natürlich Fressfeind des Phytoplanktons – vorhanden sein. Dies setzt wiederum voraus, dass die Zooplankton fressenden Fische wie kleine Barsche, die Kleine Maräne oder Rotaugen nicht überhand nehmen und von einem gesunden Raubfischbestand reguliert werden. Versucht man nun die Kleinstalgen, die am unteren Ende der Nahrungspyramide stehen, durch aktive Steuerung der Raubfischbestände (oberes Ende der Futterpyramide) zu regulieren, nennt man diese Form der Biomanipulation „Top-Down-Nahrungsnetzsteuerung“.



    Nahrungskette und Phytoplankton


    Die Effektivität dieser Methode – richtig angewendet – zeigt folgende Geschichte: Bevor Markus Kühlmann diese aktive Nahrungskettensteuerung began, mußten die Tiefenregionen einiger Talsperren im Sommer künstlich mit Sauerstoff beatmet werden; ein äusserst kostspieliges Unterfangen, das schnell mit 30.000 Euro zu buche schlägt. Geld, das heute in die Aufzucht und Qualität von Besatzmaterial investiert werden kann.


    Um klares, sauerstoffreiches Wasser zu erhalten benötigt es also einen guten Raubfischbestand. Wird der Raubfischbestand allerdings zu groß, dezimieren diese erst überproportional die Futterfische, und dann in der Folge sich selbst, bis ein zahlenmässig geringer und überalterter Raubfischbestand übrigbleibt: Die Alterspyramide ist aus dem Gleichgewicht. Diese Chance lässt keine kleine Restpopulation an Futterfischen ungenutzt und vermehrt sich sofort explosionsartig, und es kommt schnell zu Verbuttungserscheinungen; womit das Spiel von vorne beginnt. Der Raubfischbestand muß also nicht einfach nur groß, sondern proportional ausgewogen im Verhältnis zum Futterfischbestand sein.


    Während an einem natürlichen Gewässer die Chance bestünde, daß die Raubfische sich schnell dem großen Futterangebot anpassen, hat eine Talsperre dem nichts entgegenzusetzen, da sie durch den schwankenden Wasserstand und die Verbauungen der Zuflüsse äusserst ungünstige Fortpflanzungsbedingungen für Raubfische bieten.Typische Ufervegetationen, wie sie dem Hecht und dem Zander als Laichplätze dienen, fehlen entweder vollständig oder fallen während oder kurz nach der Laichzeit trocken. Die Seeforelle hat keine Aufstiegsmöglichkeiten, da die Talsperren mit wenigen Ausnahmen durch Vorbecken abgeriegelt sind.


    Die kleine Maräne, Barsche und teilweise auch noch Rotaugen – die Zooplanktonfresser – passen sich besser an diese Situationen an und lassen sich in der Vermehrung nicht beeinträchtigen.



    Gewässer im Wandel


    Darüber hinaus hat sich wie an den meisten Gewässern der Nährstoffeintrag in den letzten zwanzig Jahren teilweise mehr als halbiert, die Talsperren verändern sich von nährstoffreichen Gewässern (eutroph) zu nährstoffarmen Gewässern (oligotroph), und sind derzeit in einem Übergangsstadium angelangt (mesotroph). Damit verändern sich auch die Rahmenbedingungen für die Fische. Während früher z.B. in der Biggetalsperre Brassen und Rotaugen zusammen mit einem Anteil von über 50% den Bestand dominierten, sind es jetzt Barsch und kleine Maräne, die gemeinsam über die Hälfte des Fischbestandes darstellen. Für den Zander, der dunkles und trübes Wasser bevorzugt, werden die Bedingungen im immer klarer werdenden Wasser ungünstiger, wohingegen sie für die Augenräuber Barsch, Hecht und viele Salmoniden günstiger werden. Die Bestandsstrukturen müssen dementsprechend langsam „umgebaut“ und den sich verändernden Bedingungen angepasst werden. Seeforelle, Blaufelchen und Saiblinge, also Arten, die tiefes (kaltes), klares und sauerstoffreiches Wasser bevorzugen, gewinnen daher in der Bewirtschaftung deutlich an Bedeutung.


    Mit dem Rückgang des Nährstoffeintrags geht natürlich auch die Biomasse zurück, und somit auch die Gesamtheit des Fischbestandes. Allerdings werden die Gewässer durch die Zunahme der Salmoniden für viele Angler auch interessanter, zumindest für die, denen dicke Barsche, die Renkenfischerei oder die Möglichkeit eines Seeforellenfangs attraktiver erscheinen, als Massenfänge an Brassen und Rotaugen. Für letzteres bieten sich nach wie vor gute Möglichkeiten an den Vorbecken, die nährstoffreicher sind als die Talsperren und deren Wasserstand nicht oder deutlich weniger schwankt.


    Die fischereiliche Bewirtschaftung der Ruhrtalsperren dient also in erster Linie der Wasserqualität und darüber hinaus der Pflege und Entwicklung attraktiver Fischbestände für die Angelfischerei.


    Beides kann man auf verschiedenen Wegen erzielen. So könnte man vermutlich genauso statt der Seeforelle die Talsperren wie andernorts mit Regenbogenforellen besetzen, und die Ziele der Wasserqualität und der anglerischen Attraktivität (zumindest für „viele“ Angler) genauso erreichen. Es stellt sich also die Frage, nach welchen Prämissen die Methoden und Wege zur Zielerreichung ausgewählt werden:


    Die Philosophie der „naturnahen“ Bewirtschaftung


    „Naturnah“ heisst hier, daß das Gewässer unter gewässerökologischen und fischereibiologischen Gesichtspunkten „eingeordnet“ wird, und man bestrebt ist, die Fauna so nahe wie möglich an einem am ehesten vergleichbaren natürlichen Gewässer auszurichten.


    Das beginnt mit dem Besatzmaterial. Durch die Eigenaufzucht hat man 100% Kontrolle über die Herkunft und Auswahl der Elterntiere sowie über deren Entwicklung. Die Fische werden mit Talsperrenwasser „naturnah“ aufgezogen und mit Plankton aus den Talsperren gefüttert, das mit Planktonnetzen oder Planktonfallen gefangen wird. So wird die Brut von Anfang an an die zukünftigen Lebens- und Freßbedingungen angepasst.



    Planktonnetz


    Der Zeitpunkt des Besatzes erfolgt so früh wie möglich d.h. sobald genügend Nahrung für die Jungfische in dem jeweiligen See vorhanden ist. Durch den frühen Besatz können sich die Fische optimal an das Gewässer anpassen. Zwar werden weit über 90% des Besatzes gefressen, was einerseits durch die Besatzmenge ausgeglichen wird, andererseits der natürlichen Auslese entspricht, der Fischbrut in „freier Wildbahn“ ausgesetzt ist.



    Hechtbrut und Blaufelchenbrut


    Die stärksten und für das Gewässer am optimalsten angepassten Fische überleben und wachsen in dem Gewässer ab, um hoffentlich Jahre später einen optimalen Laichfisch oder zumindest einen schönen Fisch an der Angel abzugeben.



    Markus Kühlmann schilderte einmal einen umgekehrten Fall: Er hatte 100 Seeforellen bei einem Züchter auf ein Gewicht von 1,5 Kilo abwachsen lassen, und setzte diese Fische in die Biggetalsperre. „Noch nach vier Wochen konnte man an die Stelle gehen, wo wir die Fische besetzt hatten, und bei ruhigem Wasser den Trupp Seeforellen beobachten, wie er seine Kreise an der Oberfläche zog. Sobald man eine Hand voll Steine ins Wasser warf kamen sie angeschossen, und glaubten es wäre Fütterungszeit. Ich vermute das keiner der Fische den nächsten Winter überlebt hat: Die, die der Hecht nicht geholt hat, haben sofort die Angler gefangen.“


    Eine weitere Herausforderung der „naturnahen“ Bewirtschaftung ist die Beschaffung und Selektion von Besatzmaterial; ganz besonders bei der „Neuaufzucht“ von Fischarten, die bisher noch nicht in den eigenen Gewässern vorkommen. Zur optimalen „Zucht“ bedarf es zu Beginn unter anderem einer hohen genetischen Varianz. Nur aus einem großen Variantenreichtum genetischer Veranlagungen kann auch eine optimale „Auslese“ in einem Gewässer erfolgen, die am Ende auf das Gewässer optimal zugeschnitten ist. Dies ist besonders schwierig bei Fischen wie z.B. der Seeforelle und dem Saibling, da es nur wenige „Bezugsquellen“ gibt, und selbst diese entweder inzuchtgefährdet sind, oder ihre Variantenmöglichkeit oft seit Generationen zugunsten eines optimalen Zuschnitts auf das Heimatgewässer eingeschränkt wurde.


    Sicher wäre es auch nach dem heutigen Stand der Wissenschaft möglich, aus Bachforellen einen hervorragenden großwüchsigen Seeforellenstamm aufzubauen. Zum Leidwesen von uns Anglern kann nur niemand sagen, wie lange das letztendlich dauert, mit Sicherheit aber viel zu lange. Zu unserem Glück hat auch der Ruhrverband bei der Steuerung ausgewogener Fischbestände diese Zeit nicht zur Verfügung, und so wird mit viel Engagement, Mut und Offenheit für Neues nachgeholfen. So kommt es nicht von ungefähr, daß unser geschätztes Board-Mitglied Christian, „der Saibling“, nicht nur hier im Forum als „der“ Saiblingsspezialist von sich reden macht, sondern auch schon längst im Austausch mit Markus Kühlmann ist, und beim Aufbau der Saiblinge für die Talsperren mit Besatz und Rat geholfen hat.



    Seesaibling bein Laichfischfang gefangen


    Womit wir bei einem zentralen Punkt angelangt sind: Bei allen strategisch günstigen Voraussetzungen und richtungsweisenden Grundentscheidungen die hier gefällt wurden und die eine moderne, effektive und anglerfreundliche Bewirtschaftung ermöglichen, sind es am Ende Menschen, die mit Leidenschaft, Aufgeschlossenheit und Idealismus all dem erst Leben einhauchen.


    weiter geht es im 3. und letzten Teil

  • Ja, da kann ich dem Herkman nur zustimmen! Absolute Spitzenklasse ist der Bericht! Ich find es vor allem so fein, dass man auf der einen Seite sieht, wie man es richtig machen kann mit der Bewirtschaftung eines Gewässers und auf der anderen Seite ist es super, dass man beim lesen auch noch das eine oder andere lernen kann! Danke dir!


    Gruss Felix